Das Prinzip des qualitativen Sprunges.
... die Transparenz des Herstellungsprozesses und den Sprung aus dem quantitativen Vorgang der Wiederholung immergleicher Handbewegungen in eine neue Qualität des Resultates teilen die Zeichnungen mit den neueren Arbeiten, deren Material Sechsecke sind. Monotonie der Handlung wird hier zur Monotonie der Formen und ihres Zusammenhanges erweitert. Rhodius wählt als direkte oder vorgestellte Vorlage das reguläre Hexagonnetz. Sie reibt mit Chinatusche die Sechseckfliesen römischer Terrakottaböden auf Papier durch, druckt Sechseckstempel mit Linolschnittfarbe auf Papierrollen oder zeichnet die Sechseckverkettungen von Hand.
Reguläre Polygonnetze bauen sich geometrisch durch flächenschlüssige Wiederholung der Elementareinheit auf, d.h. die regelmäßigen Sechsecke passen überall lückenlos aneinander, jedes teilt allseitig je einen Randlinienteil mit den benachbarten. Daher ist ein solches Polygonnetz unabschließbar, jede Begrenzung willkürlich. Mit der Wahl eines potentiell eine unendliche Ebene einnehmenden Hexagonnetzes als Motiv ist das Problem der Findung einer Großform aufgehoben.
In den Tuscheabreibungen (wie auch in den nicht ausgestellten Acetatfolien) präsentiert Rhodius einen durch das Papierformat vorgegebenen Ausschnitt aus dem Sechsecknetz, in den Stempeldrucken und Handzeichnungen baut sie Sechseckverkettungen auf, deren Fortsetzbarkeit sie bei ersteren durch die Rolle, bei letzteren durch offene Randsechsecke thematisiert.
Beim gehorsamen „Reproduzieren“ des invarianten, maximal geordneten geometrischen Musters, das als einzige Information seine Stereotypie aussagt, tritt nun eine Innovation auf. Sie erfolgt durch genau die Faktoren, die zum Reproduzieren des Modells notwendig sind. Diese hinterlassen nämlich Spuren, die als Abweichung vom Modell den Herstellungsprozess als physischen transparent machen und das Modell versinnlichen ...
... Auch in den Tuscheabreibungen erfolgt durch die Interaktion von Unterlage, Träger und Medium Innovation. Die Unterlage des regelmäßigen Sechseckfliesenmusters ist ebenso eintönig wie die zu seiner Übertragung notwendigen Handgriffe des Durchreibens. Das Aufsetzen und Reiben des angelösten Tuschebarrens über das auf den Fliesen liegende Papier verursacht Flecke und Wischspuren verschiedener Intensität; beim Trocknen wirft das Papier Falten. Gerade vor dem Hintergrund maximaler Ordnung und mathematischer Objektivität wird das Irreguläre, Ungeplante als Spur des kreativen Prozesses, des Entstehens von Charakteristischem, konzentriert erfahrbar. Schiere Quantität schlägt um in Qualität, Material gewinnt durch die Bearbeitung Individualität, ohne jedoch damit Endgültigkeit zu beanspruchen.
Dagmar Rhodius beruft sich in diesem Zusammenhang auf Gilles Deleuze: „Werden ist das Unmerklichste, Werden ist die Vielfalt der Akte, die in einem Leben enthalten sein und nur in einem Stil zum Ausdruck gebracht werden können. - Werden, das ist Geographie, das sind Richtungen und Verläufe, Eingänge und Ausgänge. Werden, das ist niemals nachahmen, auch nicht, es einem Modell gleichtun. Ein Ausgangspunkt existiert ebenso wenig wie ein erreichter oder zu erreichender Endpunkt“. Mit diesem Zitat umschreibt sie ein Prinzip ihrer Kunst, die sich im Transzendieren des Vorgegebenen, durch den Sprung in eine neue Qualität, definiert.
Ausstellungskatalog „WORK ON PAPER“, Galeria Almada Negreiros, Lissabon, Mai 1985
Das Prinzip des qualitativen Sprunges.
... die Transparenz des Herstellungsprozesses und den Sprung aus dem quantitativen Vorgang der Wiederholung immergleicher Handbewegungen in eine neue Qualität des Resultates teilen die Zeichnungen mit den neueren Arbeiten, deren Material Sechsecke sind. Monotonie der Handlung wird hier zur Monotonie der Formen und ihres Zusammenhanges erweitert. Rhodius wählt als direkte oder vorgestellte Vorlage das reguläre Hexagonnetz. Sie reibt mit Chinatusche die Sechseckfliesen römischer Terrakottaböden auf Papier durch, druckt Sechseckstempel mit Linolschnittfarbe auf Papierrollen oder zeichnet die Sechseckverkettungen von Hand.
Reguläre Polygonnetze bauen sich geometrisch durch flächenschlüssige Wiederholung der Elementareinheit auf, d.h. die regelmäßigen Sechsecke passen überall lückenlos aneinander, jedes teilt allseitig je einen Randlinienteil mit den benachbarten. Daher ist ein solches Polygonnetz unabschließbar, jede Begrenzung willkürlich. Mit der Wahl eines potentiell eine unendliche Ebene einnehmenden Hexagonnetzes als Motiv ist das Problem der Findung einer Großform aufgehoben.
In den Tuscheabreibungen (wie auch in den nicht ausgestellten Acetatfolien) präsentiert Rhodius einen durch das Papierformat vorgegebenen Ausschnitt aus dem Sechsecknetz, in den Stempeldrucken und Handzeichnungen baut sie Sechseckverkettungen auf, deren Fortsetzbarkeit sie bei ersteren durch die Rolle, bei letzteren durch offene Randsechsecke thematisiert.
Beim gehorsamen „Reproduzieren“ des invarianten, maximal geordneten geometrischen Musters, das als einzige Information seine Stereotypie aussagt, tritt nun eine Innovation auf. Sie erfolgt durch genau die Faktoren, die zum Reproduzieren des Modells notwendig sind. Diese hinterlassen nämlich Spuren, die als Abweichung vom Modell den Herstellungsprozess als physischen transparent machen und das Modell versinnlichen ...
... Auch in den Tuscheabreibungen erfolgt durch die Interaktion von Unterlage, Träger und Medium Innovation. Die Unterlage des regelmäßigen Sechseckfliesenmusters ist ebenso eintönig wie die zu seiner Übertragung notwendigen Handgriffe des Durchreibens. Das Aufsetzen und Reiben des angelösten Tuschebarrens über das auf den Fliesen liegende Papier verursacht Flecke und Wischspuren verschiedener Intensität; beim Trocknen wirft das Papier Falten. Gerade vor dem Hintergrund maximaler Ordnung und mathematischer Objektivität wird das Irreguläre, Ungeplante als Spur des kreativen Prozesses, des Entstehens von Charakteristischem, konzentriert erfahrbar. Schiere Quantität schlägt um in Qualität, Material gewinnt durch die Bearbeitung Individualität, ohne jedoch damit Endgültigkeit zu beanspruchen.
Dagmar Rhodius beruft sich in diesem Zusammenhang auf Gilles Deleuze: „Werden ist das Unmerklichste, Werden ist die Vielfalt der Akte, die in einem Leben enthalten sein und nur in einem Stil zum Ausdruck gebracht werden können. - Werden, das ist Geographie, das sind Richtungen und Verläufe, Eingänge und Ausgänge. Werden, das ist niemals nachahmen, auch nicht, es einem Modell gleichtun. Ein Ausgangspunkt existiert ebenso wenig wie ein erreichter oder zu erreichender Endpunkt“. Mit diesem Zitat umschreibt sie ein Prinzip ihrer Kunst, die sich im Transzendieren des Vorgegebenen, durch den Sprung in eine neue Qualität, definiert.
Ausstellungskatalog „WORK ON PAPER“, Galeria Almada Negreiros, Lissabon, Mai 1985