Man könnte im Zweifel sein, ob die Zeichnungen von Dagmar Rhodius nicht eigentlich schon als plastische Arbeiten zu definieren sind. Die bildnerischen Mittel – Zeichenstift und Papier – sind zwar die der Zeichnung; der Gebrauch der Mittel ist jedoch bestimmt von einem deutlichen Interesse an plastischer Gestaltung. „Papier interessiert mich als Stoff, als Material“ sagt die Künstlerin. „Ich 'treibe' mit starkem Druck Graphit in die Poren des Papiers hinein, bis es sich dehnt und aufwirft. Die nicht mit Druck bearbeiteten Papierteile bleiben flach auf der Wand liegen. In sie sind die gewölbten Teile eingespannt wie in ein Gitter oder Netz“. Von plastischen Arbeiten – so ergibt sich aus dieser Äußerung – kann also in dem eingeschränkten Sinn gesprochen werden, dass das Plastische als ein Aspekt der Zeichnung zum Vorschein kommt; die Arbeiten könnten nicht aus anderem Material und auf anderem Weg hergestellt werden, ohne dass dabei etwas grundsätzlich Anderes entstehen und der spezifische Sinn verloren gehen würde.
Dagmar Rhodius pointiert und thematisiert somit ein allgemein kaum beachtetes physikalisches Grundmoment der Zeichnung: Zeichnen heißt immer auch und zuerst Druck auf das Papier ausüben – und sei dieser Druck noch so unauffällig und gering. Selbst in der leisen, scheinbar so ganz immateriellen Kunst der Zeichnung liegt ein Moment fast erschreckender „Gewalttätigkeit“ – es gibt kein Tun, keinen Vorgang, der grundsätzlich nicht als Ausübung von Druck definierbar ist und nicht eine objektive Deformation bewirkt. Dieser elementaren Tatsache gilt das Augenmerk: Zeichnung ist bei Dagmar Rhodius nicht Darstellung, sondern in unmittelbarem Sinn Veränderung; an die Stelle der auf Imagination gegründeten Darstellung von Körper und Raum auf der Papierfläche tritt die Verwandlung des Papiers selbst zur realen Körperlichkeit durch das Mittel der Zeichnung. Der so entstandene „Körper“ wird im realen Raum anwesend, beziehungsweise es kann realer Raum Element der Arbeiten werden. Dem trägt Dagmar Rhodius Rechnung, indem sie die mit starkem Druck schraffierten, metallisch glänzenden Teile verselbständigt, ausschneidet, zu großen, meist geschwungenen, zuweilen messerartig spitz zulaufenden Formen zusammenklebt und auf der Wand befestigt. Handelt es sich auch zunächst jeweils um Einzelstücke, so lassen sie sich dann doch auch als Elemente einer rhythmischen Raumgestaltung einsetzen und beliebig kombinieren. In anderen Fällen ist die ausgeschnittene schraffierte Form neben das nicht schraffierte Reststück des Papiers gehängt, womit einerseits Positiv- und Negativform zusammen die Arbeit bilden und andererseits auch ein besonders deutlicher Hinweis auf den Arbeitsvorgang gegeben ist.
Dieser „Transparenz des Herstellungsprozesses“ misst Dagmar Rhodius entscheidende Bedeutung bei. Und im Grunde enthalten alle Arbeiten Hinweise auf den Arbeitsvorgang: bei den großen Einzelstücken etwa wirken die ohne Druck geschwärzten, in regelmäßigen Abständen einander folgenden Verklebungen einerseits wie Verstrebungen, in die die gewölbten Teile eingespannt, eingeschnürt sind; andererseits aber doch auch als Hinweis auf den Vorgang des Zusammensetzens. Dem entspricht in einem anderen Fall der schmale Zwischenraum zwischen mehreren einzeln gerahmten Blättern, auf denen sich eine große schraffierte Form von Blatt zu Blatt fortsetzt – worin dann im übrigen auch der Grundgedanke der Erweiterung der Zeichnung über ihre traditionelle Begrenzung hinaus einen sehr entschiedenen Ausdruck erfährt. Bei anderen Folgen von Zeichnungen wiederum verändert sich die Position einer schraffierten Form auf dem nicht schraffierten Grund von Blatt zu Blatt nach einer genau festgelegten, nachvollziehbaren Regel – doch bleibt eine derartige, im Sinn der konkreten Kunst mathematische Kontrollierbarkeit eines formalen Ablaufs im Werk von Dagmar Rhodius wohl eher von beiläufiger Bedeutung. Denn das, was in der Transparenz des Herstellungsprozesses als Wesentlichstes sichtbar werden soll, ist die unmittelbar reale Veränderung, die ein so einfaches Tun wie das Schraffieren bewirkt – der Zusammenstoß von Stift und Fläche als Energieentfaltung, aus der eine stoffliche Deformation erfolgt und mit der das Deformierte zugleich für die Formation in neuen Zusammenhängen freigesetzt wird. Dabei erscheinen die verwirklichten neuen Möglichkeiten der von der Fläche und von der traditionellen Begrenzung auf das Papierrechteck freigesetzten Zeichnung nicht so sehr als der Zweck, sondern vielmehr als Mittel, um aus den Konsequenzen stets wieder auf die Bedeutung der Ursache zurückzuverweisen. Vielleicht wäre statt von Transparenz der Herstellung somit auch besser von Transparenz des Zusammenhangs von Ursache und Wirkung zu sprechen – insofern das, was hier entsteht, wie mir scheint, nicht im üblichen Sinn als hergestelltes Produkt, sondern vor allem als Auswirkung eines Tuns, Folge der reinen physischen Kraftentfaltung des Zeichnens zu begreifen ist. Eine solche Definition rechtfertigt sich auch daraus, dass die Form der schraffierten Stücke mehr die Bedeutung einer äußerlichen Festlegung hat – die eigentlichen „Resultate“ aber in den offenen Folgen, den Wölbungen, Faltenbildungen des Papiers liegen, die durch das Bearbeiten verursacht werden.
Ausstellungskatalog: „Neue Kunst Neue Künstler aus München“, 1980.
Galerie Dany Keller, München; Galerie Ursula Schurr, Stuttgart
Man könnte im Zweifel sein, ob die Zeichnungen von Dagmar Rhodius nicht eigentlich schon als plastische Arbeiten zu definieren sind. Die bildnerischen Mittel – Zeichenstift und Papier – sind zwar die der Zeichnung; der Gebrauch der Mittel ist jedoch bestimmt von einem deutlichen Interesse an plastischer Gestaltung. „Papier interessiert mich als Stoff, als Material“ sagt die Künstlerin. „Ich 'treibe' mit starkem Druck Graphit in die Poren des Papiers hinein, bis es sich dehnt und aufwirft. Die nicht mit Druck bearbeiteten Papierteile bleiben flach auf der Wand liegen. In sie sind die gewölbten Teile eingespannt wie in ein Gitter oder Netz“. Von plastischen Arbeiten – so ergibt sich aus dieser Äußerung – kann also in dem eingeschränkten Sinn gesprochen werden, dass das Plastische als ein Aspekt der Zeichnung zum Vorschein kommt; die Arbeiten könnten nicht aus anderem Material und auf anderem Weg hergestellt werden, ohne dass dabei etwas grundsätzlich Anderes entstehen und der spezifische Sinn verloren gehen würde.
Dagmar Rhodius pointiert und thematisiert somit ein allgemein kaum beachtetes physikalisches Grundmoment der Zeichnung: Zeichnen heißt immer auch und zuerst Druck auf das Papier ausüben – und sei dieser Druck noch so unauffällig und gering. Selbst in der leisen, scheinbar so ganz immateriellen Kunst der Zeichnung liegt ein Moment fast erschreckender „Gewalttätigkeit“ – es gibt kein Tun, keinen Vorgang, der grundsätzlich nicht als Ausübung von Druck definierbar ist und nicht eine objektive Deformation bewirkt. Dieser elementaren Tatsache gilt das Augenmerk: Zeichnung ist bei Dagmar Rhodius nicht Darstellung, sondern in unmittelbarem Sinn Veränderung; an die Stelle der auf Imagination gegründeten Darstellung von Körper und Raum auf der Papierfläche tritt die Verwandlung des Papiers selbst zur realen Körperlichkeit durch das Mittel der Zeichnung. Der so entstandene „Körper“ wird im realen Raum anwesend, beziehungsweise es kann realer Raum Element der Arbeiten werden. Dem trägt Dagmar Rhodius Rechnung, indem sie die mit starkem Druck schraffierten, metallisch glänzenden Teile verselbständigt, ausschneidet, zu großen, meist geschwungenen, zuweilen messerartig spitz zulaufenden Formen zusammenklebt und auf der Wand befestigt. Handelt es sich auch zunächst jeweils um Einzelstücke, so lassen sie sich dann doch auch als Elemente einer rhythmischen Raumgestaltung einsetzen und beliebig kombinieren. In anderen Fällen ist die ausgeschnittene schraffierte Form neben das nicht schraffierte Reststück des Papiers gehängt, womit einerseits Positiv- und Negativform zusammen die Arbeit bilden und andererseits auch ein besonders deutlicher Hinweis auf den Arbeitsvorgang gegeben ist.
Dieser „Transparenz des Herstellungsprozesses“ misst Dagmar Rhodius entscheidende Bedeutung bei. Und im Grunde enthalten alle Arbeiten Hinweise auf den Arbeitsvorgang: bei den großen Einzelstücken etwa wirken die ohne Druck geschwärzten, in regelmäßigen Abständen einander folgenden Verklebungen einerseits wie Verstrebungen, in die die gewölbten Teile eingespannt, eingeschnürt sind; andererseits aber doch auch als Hinweis auf den Vorgang des Zusammensetzens. Dem entspricht in einem anderen Fall der schmale Zwischenraum zwischen mehreren einzeln gerahmten Blättern, auf denen sich eine große schraffierte Form von Blatt zu Blatt fortsetzt – worin dann im übrigen auch der Grundgedanke der Erweiterung der Zeichnung über ihre traditionelle Begrenzung hinaus einen sehr entschiedenen Ausdruck erfährt. Bei anderen Folgen von Zeichnungen wiederum verändert sich die Position einer schraffierten Form auf dem nicht schraffierten Grund von Blatt zu Blatt nach einer genau festgelegten, nachvollziehbaren Regel – doch bleibt eine derartige, im Sinn der konkreten Kunst mathematische Kontrollierbarkeit eines formalen Ablaufs im Werk von Dagmar Rhodius wohl eher von beiläufiger Bedeutung. Denn das, was in der Transparenz des Herstellungsprozesses als Wesentlichstes sichtbar werden soll, ist die unmittelbar reale Veränderung, die ein so einfaches Tun wie das Schraffieren bewirkt – der Zusammenstoß von Stift und Fläche als Energieentfaltung, aus der eine stoffliche Deformation erfolgt und mit der das Deformierte zugleich für die Formation in neuen Zusammenhängen freigesetzt wird. Dabei erscheinen die verwirklichten neuen Möglichkeiten der von der Fläche und von der traditionellen Begrenzung auf das Papierrechteck freigesetzten Zeichnung nicht so sehr als der Zweck, sondern vielmehr als Mittel, um aus den Konsequenzen stets wieder auf die Bedeutung der Ursache zurückzuverweisen. Vielleicht wäre statt von Transparenz der Herstellung somit auch besser von Transparenz des Zusammenhangs von Ursache und Wirkung zu sprechen – insofern das, was hier entsteht, wie mir scheint, nicht im üblichen Sinn als hergestelltes Produkt, sondern vor allem als Auswirkung eines Tuns, Folge der reinen physischen Kraftentfaltung des Zeichnens zu begreifen ist. Eine solche Definition rechtfertigt sich auch daraus, dass die Form der schraffierten Stücke mehr die Bedeutung einer äußerlichen Festlegung hat – die eigentlichen „Resultate“ aber in den offenen Folgen, den Wölbungen, Faltenbildungen des Papiers liegen, die durch das Bearbeiten verursacht werden.
Ausstellungskatalog: „Neue Kunst Neue Künstler aus München“, 1980.
Galerie Dany Keller, München; Galerie Ursula Schurr, Stuttgart