Rainer Metzger:
Sie lebt seit langem in München. Ihre wichtigsten Erfahrungen als Künstlerin aber macht sie immer woanders, auf Reisen, bei größeren Aufenthalten in Italien, den Niederlanden oder den USA. Immer wieder zieht es Dagmar Rhodius zurück in die Landeshauptstadt und dann immer wieder weg, heraus aus der Enge.
Sich an der Diskussion über das kulturelle Klima Münchens zu beteiligen, heißt für sie, sich Rechenschaft abzulegen über die eigene Distanz und die eigene Nähe zu der Stadt. Mit Dagmar Rhodius kommt endlich jemand von den am intensivsten Betroffenen, von den am stärksten Atmosphäregeschädigten zu Wort, jemand von den Künstlern selbst.
Dagmar Rhodius:
Kunst bringt Erkenntnis.
Geographisch gesehen ist es eher überraschend, dass es München je zu einer blühenden Kulturstadt gebracht hat. Die Isar war nie schiffbar, das nächste Meer liegt viele hundert Kilometer entfernt, im Süden legt sich noch der Alpenriegel quer – wo hätte man denn Impulse herkriegen können, wie hätte man sich denn einüben können in das Austauschen von Ideen und Toleranz, wie es Lebensgrundlage und Geschäftsprinzip aller Völker von Händlern und Seefahrern ist?
Diesem Abschotten nach außen ist viel zu danken: der in sich ruhende Menschentyp hier, die wunderbar kernig-kraftvolle bayerische Sprache, eine Sprache, die immer eng verbunden bleibt mit den Gefühlen beim Sprechen, weshalb sie oft so schwerfällig erscheint – komplexe Sprache. Solide Verwurzelung im Überlieferten, Bodenständigkeit bilden im Zeitalter der Medien – wo alles gleichzeitig überall ist und gleich aussieht – ein starkes Potential an Widerstand, eine große Kraft.
Die einheimische Sinnenfreude, von der bilderreichen Lehre des Katholizismus stets angeregt zu Bildgestaltungen, macht den Süden zur Keimzelle für Bildkultur (das gilt innerhalb Deutschlands ebenso wie in den Niederlanden und in Europa generell).
Wir sitzen hier im Süden der Nation an fruchtbarster Stelle, haben die besten, historisch gewachsenen Voraussetzungen für Bildkunst, reiche Bodenschätze sozusagen, – warum der „Karriereknick“ Münchens mit der Gegenwartskunst? Schweren Stand haben in München pure, stark verdichtete, auf Wesentliches reduzierte Bildaussagen. „Kopfkunst“ und „steril“ nennen die Münchener, die das Schweifen lieben, strenge, spröde Bildlösungen. Die in den sechziger Jahren aufgekommene neue Dimension in der bildenden Kunst, die so erfrischend und belebend und begriffserweiternd gewirkt hat (Arte Povera z.B., Minimal Art, Konzept Kunst), ist in München Stiefkind. Keine Professur an der Münchner Kunstakademie deckt diesen wichtigen Bereich ab. Galerien, die sich für diese Kunst einsetzen, leben von auswärtigen Sammlern und expandieren nach Köln (Schöttle, Tanit) und demnächst Paris (Schöttle).
Demokratie heißt auch, das, was da ist an geistiger Errungenschaft, potentiell jedem Bürger zur Verfügung zu stellen. Kunst bringt Erkenntnis. Kunst als Aufforderung: „Erkenne die Lage“ (Benn). Und die Lage ist verworren: Die atemberaubend schnellen Umwälzungen im Kommunikationsbereich z.B. genau zu beobachten, um darauf reagieren zu können, ist harte Arbeit. Viele Künstler in der ganzen Welt arbeiten daran, aber diese gemeinsame Arbeit wird aufgehalten durch Transportprobleme. Die Verteilung der geistigen Güter klappt auch bei uns im Westen nicht. Was in der Welt an Erkenntnissen und Ideen produziert wird, selbst was schon lange da ist, spricht sich nur langsam oder gar nicht herum. Der Zugang zu den Köpfen scheint noch immer mit der Postkutsche befahren zu werden.
Zwar reden Künstler viel mit Kritikern, miteinander jedoch findet Kunstreflexion verbal in München viel zu wenig und auf entsprechendem Niveau statt: Emotionen beherrschen alles, die Sache, die wir tragen sollten, die Kunst, bleibt auf der Strecke. Gesprächskultur ist erlernbar.
Auch in München hat Kunst von Frauen Terrain gewonnen, zum Teil dank unpopulärer Stadtratsentscheidungen und einer rührigen Person im Baureferat. Auswüchse zur „Eisernen Lady“ als Quittung für unsere lange Unterdrückung sind in der nachwachsenden Generation kaum noch zu beobachten. Die aber scheint die Akademie bzw. das Ministerium für Wissenschaft und Kunst wie den bösen Wolf zu fürchten. Künstlerinnen hat man im Lehrbetrieb mit der Lupe zu suchen, in einflussreichen Positionen nützt auch die Lupe nichts: Man wird nicht fündig. Was eine vergleichsweise kleine Stadt wie Braunschweig im auch nicht progressiven Niedersachsen längst hat, bleibt München nach wie vor versagt.
Hier liegt Münchens wundester Punkt: Die Heilige Kuh Tradition blockiert den Weg in die multikulturelle Gesellschaft. Monokultur heißt das goldene Kalb, und es ist wahrlich vital genug, um seinen Lebensraum zu behaupten, wenn es andere Monokulturen um sich haben wird. – Ich frage mich wirklich, ob Staat oder Stadt ihrem verfassungsmäßig verankerten Bildungsauftrag noch nachkommen, wenn sie aus lauter Sorge um das Tradierte das Zeitgenössische kontinuierlich behindern.
Dass in diesem zähen Umfeld Städtische Galerie, Kulturreferat, Staatsgalerie und einige private Galerien und Vereine neben vielem Gekochten immer wieder den Mut aufbringen auch Rohes aufzutischen, muss gesehen und gewürdigt werden.
Ein Wort noch zur Kunst im öffentlichen Raum. Bei jeder öffentlichen Bauplanung müssen zwei Prozent der Baukosten von der Stadt in Kunst abgeführt werden. Das sieht in der Praxis so aus, dass eine berufene Kommission meist unter schrecklichem Zeitdruck Geldsummen geradezu „zwangsverteilen“ muss. Zum Elend jeder demokratischen Abstimmung in Sachen Kunst – Förderung des Mittelmaßes – kommt das Elend der Künstler hinzu, die immer erst herangezogen werden, wenn alles schon steht. Ich weise darauf hin, dass hier viel Geld für Kunst bereitsteht, soviel Geld, dass sich die Stadt München auch Kunstwerke leisten kann, die in die Geschichte eingehen werden.
Allerdings muss man sich entscheiden, was man will. Der Verteilermodus müsste geändert, nicht eine zufällig zusammengekommene Geldsumme ausschlaggebend sein für ein in Auftrag zu gebendes Kunstwerk, sondern die Raumsituation selbst. Das Geld gehört zusammengelegt, für große Projekte sollte die Kommission überregional Verstärkung bekommen und die Ermächtigung, über München-Heute etwas hinauszuschauen.
Wenn die Stadt allerdings weiterhin hervorragende Projekte ihrer wenigen international erfolgreichen Künstler abschmettert, wenn sie dem Preise und Respekt verweigert, der beides andernorts längst erhalten hat, dann handelt sie nicht nur weit unter ihrem Niveau, sondern richtet – langfristig gesehen – irreparablen kulturellen Flurschaden an.
Aber, wie gesagt, es kommt darauf an, was man will. Mit Preisen und Stipendien geizt die Stadt nicht, der dazugehörige Katalog ist eine gute Sache und Arbeitsraumvermittlung und -subventionierung größte Künstlerförderung.
Persönlich halte ich es so: zur Befruchtung nutze ich die Reisefreiheit, zum Austragen komme ich am liebsten heim. Da stört mich nichts beim Brüten.
Dagmar Rhodius: „Kunst bringt Erkenntnis“. APPLAUS, Münchner Theater-Kultur-Magazin, Januar 1990, Kunstkolumne
Rainer Metzger:
Sie lebt seit langem in München. Ihre wichtigsten Erfahrungen als Künstlerin aber macht sie immer woanders, auf Reisen, bei größeren Aufenthalten in Italien, den Niederlanden oder den USA. Immer wieder zieht es Dagmar Rhodius zurück in die Landeshauptstadt und dann immer wieder weg, heraus aus der Enge.
Sich an der Diskussion über das kulturelle Klima Münchens zu beteiligen, heißt für sie, sich Rechenschaft abzulegen über die eigene Distanz und die eigene Nähe zu der Stadt. Mit Dagmar Rhodius kommt endlich jemand von den am intensivsten Betroffenen, von den am stärksten Atmosphäregeschädigten zu Wort, jemand von den Künstlern selbst.
Dagmar Rhodius:
Kunst bringt Erkenntnis.
Geographisch gesehen ist es eher überraschend, dass es München je zu einer blühenden Kulturstadt gebracht hat. Die Isar war nie schiffbar, das nächste Meer liegt viele hundert Kilometer entfernt, im Süden legt sich noch der Alpenriegel quer – wo hätte man denn Impulse herkriegen können, wie hätte man sich denn einüben können in das Austauschen von Ideen und Toleranz, wie es Lebensgrundlage und Geschäftsprinzip aller Völker von Händlern und Seefahrern ist?
Diesem Abschotten nach außen ist viel zu danken: der in sich ruhende Menschentyp hier, die wunderbar kernig-kraftvolle bayerische Sprache, eine Sprache, die immer eng verbunden bleibt mit den Gefühlen beim Sprechen, weshalb sie oft so schwerfällig erscheint – komplexe Sprache. Solide Verwurzelung im Überlieferten, Bodenständigkeit bilden im Zeitalter der Medien – wo alles gleichzeitig überall ist und gleich aussieht – ein starkes Potential an Widerstand, eine große Kraft.
Die einheimische Sinnenfreude, von der bilderreichen Lehre des Katholizismus stets angeregt zu Bildgestaltungen, macht den Süden zur Keimzelle für Bildkultur (das gilt innerhalb Deutschlands ebenso wie in den Niederlanden und in Europa generell).
Wir sitzen hier im Süden der Nation an fruchtbarster Stelle, haben die besten, historisch gewachsenen Voraussetzungen für Bildkunst, reiche Bodenschätze sozusagen, – warum der „Karriereknick“ Münchens mit der Gegenwartskunst? Schweren Stand haben in München pure, stark verdichtete, auf Wesentliches reduzierte Bildaussagen. „Kopfkunst“ und „steril“ nennen die Münchener, die das Schweifen lieben, strenge, spröde Bildlösungen. Die in den sechziger Jahren aufgekommene neue Dimension in der bildenden Kunst, die so erfrischend und belebend und begriffserweiternd gewirkt hat (Arte Povera z.B., Minimal Art, Konzept Kunst), ist in München Stiefkind. Keine Professur an der Münchner Kunstakademie deckt diesen wichtigen Bereich ab. Galerien, die sich für diese Kunst einsetzen, leben von auswärtigen Sammlern und expandieren nach Köln (Schöttle, Tanit) und demnächst Paris (Schöttle).
Demokratie heißt auch, das, was da ist an geistiger Errungenschaft, potentiell jedem Bürger zur Verfügung zu stellen. Kunst bringt Erkenntnis. Kunst als Aufforderung: „Erkenne die Lage“ (Benn). Und die Lage ist verworren: Die atemberaubend schnellen Umwälzungen im Kommunikationsbereich z.B. genau zu beobachten, um darauf reagieren zu können, ist harte Arbeit. Viele Künstler in der ganzen Welt arbeiten daran, aber diese gemeinsame Arbeit wird aufgehalten durch Transportprobleme. Die Verteilung der geistigen Güter klappt auch bei uns im Westen nicht. Was in der Welt an Erkenntnissen und Ideen produziert wird, selbst was schon lange da ist, spricht sich nur langsam oder gar nicht herum. Der Zugang zu den Köpfen scheint noch immer mit der Postkutsche befahren zu werden.
Zwar reden Künstler viel mit Kritikern, miteinander jedoch findet Kunstreflexion verbal in München viel zu wenig und auf entsprechendem Niveau statt: Emotionen beherrschen alles, die Sache, die wir tragen sollten, die Kunst, bleibt auf der Strecke. Gesprächskultur ist erlernbar.
Auch in München hat Kunst von Frauen Terrain gewonnen, zum Teil dank unpopulärer Stadtratsentscheidungen und einer rührigen Person im Baureferat. Auswüchse zur „Eisernen Lady“ als Quittung für unsere lange Unterdrückung sind in der nachwachsenden Generation kaum noch zu beobachten. Die aber scheint die Akademie bzw. das Ministerium für Wissenschaft und Kunst wie den bösen Wolf zu fürchten. Künstlerinnen hat man im Lehrbetrieb mit der Lupe zu suchen, in einflussreichen Positionen nützt auch die Lupe nichts: Man wird nicht fündig. Was eine vergleichsweise kleine Stadt wie Braunschweig im auch nicht progressiven Niedersachsen längst hat, bleibt München nach wie vor versagt.
Hier liegt Münchens wundester Punkt: Die Heilige Kuh Tradition blockiert den Weg in die multikulturelle Gesellschaft. Monokultur heißt das goldene Kalb, und es ist wahrlich vital genug, um seinen Lebensraum zu behaupten, wenn es andere Monokulturen um sich haben wird. – Ich frage mich wirklich, ob Staat oder Stadt ihrem verfassungsmäßig verankerten Bildungsauftrag noch nachkommen, wenn sie aus lauter Sorge um das Tradierte das Zeitgenössische kontinuierlich behindern.
Dass in diesem zähen Umfeld Städtische Galerie, Kulturreferat, Staatsgalerie und einige private Galerien und Vereine neben vielem Gekochten immer wieder den Mut aufbringen auch Rohes aufzutischen, muss gesehen und gewürdigt werden.
Ein Wort noch zur Kunst im öffentlichen Raum. Bei jeder öffentlichen Bauplanung müssen zwei Prozent der Baukosten von der Stadt in Kunst abgeführt werden. Das sieht in der Praxis so aus, dass eine berufene Kommission meist unter schrecklichem Zeitdruck Geldsummen geradezu „zwangsverteilen“ muss. Zum Elend jeder demokratischen Abstimmung in Sachen Kunst – Förderung des Mittelmaßes – kommt das Elend der Künstler hinzu, die immer erst herangezogen werden, wenn alles schon steht. Ich weise darauf hin, dass hier viel Geld für Kunst bereitsteht, soviel Geld, dass sich die Stadt München auch Kunstwerke leisten kann, die in die Geschichte eingehen werden.
Allerdings muss man sich entscheiden, was man will. Der Verteilermodus müsste geändert, nicht eine zufällig zusammengekommene Geldsumme ausschlaggebend sein für ein in Auftrag zu gebendes Kunstwerk, sondern die Raumsituation selbst. Das Geld gehört zusammengelegt, für große Projekte sollte die Kommission überregional Verstärkung bekommen und die Ermächtigung, über München-Heute etwas hinauszuschauen.
Wenn die Stadt allerdings weiterhin hervorragende Projekte ihrer wenigen international erfolgreichen Künstler abschmettert, wenn sie dem Preise und Respekt verweigert, der beides andernorts längst erhalten hat, dann handelt sie nicht nur weit unter ihrem Niveau, sondern richtet – langfristig gesehen – irreparablen kulturellen Flurschaden an.
Aber, wie gesagt, es kommt darauf an, was man will. Mit Preisen und Stipendien geizt die Stadt nicht, der dazugehörige Katalog ist eine gute Sache und Arbeitsraumvermittlung und -subventionierung größte Künstlerförderung.
Persönlich halte ich es so: zur Befruchtung nutze ich die Reisefreiheit, zum Austragen komme ich am liebsten heim. Da stört mich nichts beim Brüten.
Dagmar Rhodius: „Kunst bringt Erkenntnis“. APPLAUS, Münchner Theater-Kultur-Magazin, Januar 1990, Kunstkolumne